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Abschied vom Pazifik und Endspurt ins Outback – Back in New South Wales


Lithning Ridge – And pigs can fly! Kein Satz der Welt könnte diesen zauberhaften Ort so treffend beschreiben wie dieser. Lithning Ridge ist ziemlich Outback, doch behält sich seine Schräge. Es ist ebenso zeitlos, wie verstaubt – im wahrsten Sinne. Auf den ersten Blick scheint daran nichts besonders, doch zwischen den Zeilen – oder besser gesagt den Opal-Mienen – verkörpert dieser Ort eine mystische Dramatik. Oder ist es doch nur der Namen, der mich in den Bann zieht? Seit acht Tagen fahre ich tiefer und tiefer ins Outback. Was ist anders in Lithning Ridge?




Das abgeklärte Byron Bay


Step by step. Am 2. Januar fahre ich früh am Morgen los. Raus aus den Bergen, Kurs auf Airlie Beach. Auf halbem Weg stoppe ich in Mackay beim Radladen. Folgende Diagnose für mein BMC-Rad: Tretlager durch, Vorderradmantel durch, Speichenbruch. In überraschend kurzer Zeit und noch weniger Bucks (so rufen die Australier ihr Geld), fixt Mackay Cycles alle Wehleiden.

Gegen Mittag fahre ich bei Gewitter und Platzregen weiter. Kurzer Zwischenstopp in einer halb überschwemmten Rest Area, zum Lunch. Am frühen Abend erreiche ich Airlie Beach. Natürlich bei unverblümtem Sonnenschein und knackigen 34 Grad.


Airlie Beach ist das Tor zu den Whitsundays. Eine weitläufige Inselgruppe im Herzen des Great Barrier Reefs. Erster Eindruck: Ziemlich touristisch. Allerdings fast ausschließlich Aussies, kaum Reisende aus Übersee. Trotz zweier Strände traut sich weit und breit niemand ins Meer. Überall Quallen- und Krokodilwarnschilder.

Glücklicherweise gibt es eine große künstliche Lagune, die das Meer in den nächsten drei Tagen für mich ganz gut ersetzt. 30 Grad Wassertemperatur ist zwar alles andere als Abkühlung, aber immerhin Abwechslung.


Vereinzelt treffe ich auf Reisende. Die meisten haben hier allerdings nur folgende Ziele: Bars, Pubs, Clubs. Essen, trinken, feiern. Airlie ist ziemlich lässig und hip. Etwas erinnert es mich an Byron Bay, nur etwas abgeklärter. Nicht ganz so jung, nicht ganz so surfy und adventure. Hier treffen sich alle Altersgruppen.

Die Küste hinab, etwa fünf Kilometer raus aus Airlie, finde ich eine ruhige Bucht. Die Funnel Bay in Flametree – mein Zuhause für drei Tage. Am Ende der Straße führt ein schmaler Pfad zum Strand. Hier ist wirklich garnichts los. Rund um die Uhr kein Mensch. Mein Gespür für gute Overnight-Spots wird langsam richtig gut. Auf dem Bild unten ist die Funnel Bay



Whitehaven Paradise

Am 5. Januar ist es finally so weit. Ich gönne mir zum letzten mal eine Bootstour. Das Wetter ist wunderschön. Tage lang habe ich mich drauf gefreut.

Gegen 9 Uhr sticht das relativ kleine Schiff in See. Etwa 20 Menschen sind an Bord. Nach einer knappen Stunde erreichen wir Haslewood Island. Durch den Solway Pass, vorbei an hunderten kleinen Inseln.



Hier wird getaucht und geschnorchelt – oder wie ich lieber sage: Gesnorkelt. Der ganze Spaß geht allerdings nur mit Wetsuit – einem Ganzkörper-Neoprenanzug zum Schutz vor Quallen.



Anschließend geht es durch die Whitehaven Bay zum Whitehaven Beach. Kilometerlanger weißer Sandstrand, türkises, glasklares Wasser. Der Sand ist so fein, dass er mit Händen kaum zu fassen ist. Es ist heiß und trocken. Und auf eine so entspannende Weise wunderschön zeitlos.


Gegen Mittag wandere ich hinauf zum Whitehaven Lookout. Über eine Steintreppe geht es durch den Regenwald hoch auf knapp 100 Meter. Der Blick on top ist es wert.

Die Stunden vergehen wie Sekunden. Die Bilder sprechen hier die ehrlichste Sprache.





Als ich am Abend in die Lagune springe, spricht mich plötzlich ein Typ am Beckenrand an. Halb erfreut über Konversation, halb spooky, blicke ich mich um. "You're John, John from Strava?" Clinton Hayward hat tatsächlich gerade eben durch irgendwelche Strava-Rankings in Mackay, knapp 200 Kilometer entfernt, gescrollt. Und dabei hat er mich wiedererkannt, woran auch immer. Wir schnacken kurz. Er kommt aus Toowoomba bei Brisbane, reist mit seiner Familie gerade vier Wochen durch Australien.



Bye bye Pazifik

 

Abends fahre ich straight Richtung Süden, mitten ins Landesinnere. Nach drei Stunden Troopy halte ich schließlich irgendwo an, wo mir die Augen zufallen. Im kleinen Dorf Nebo verbringe ich die Nacht.

Sportlich ist es der Beginn einer Trainingswoche, in der die Maxime "Stumpf ist Trumpf" auf einen eisigen Gipfel getrieben wird. Tag für Tag drehe ich irgendwann um und fahre die selbe Strecke heim. Ein krasser Gegensatz zu Allem, was ich bisher auf dem Rad getrieben habe. Es scheint mehr mentales Training zu sein, als physischem Sinn zu haben.

Aber auch das gehört dazu und auf eine unerklärbare Art ist es auch irgendwie geil – zumindest für ein paar Tage.



Von Nebo treibt es mich weiter südlich nach Rolleston. Vorbei an der Großstadt Emerald – knapp 14.000 Einwohner. Jede Tankstelle könnte die Letzte sein. An jedem Supermarkt überlege ich dreimal, ob ich alles habe.

Verblüffend schnell bin ich aus dem Getümmel in die Einöde gekommen. Und das ist gerade mal der Anfang. Der wahre Bush wartet hunderte, tausende Kilometer weiter – tief im Herzen dieses riesigen Kontinents. Es fühlt sich an, als passiere ich ein paar Venen und Arterien dieses Herzens, doch sein Zentrum scheint zu fern für zwei Monate. Auf der Karte ist mein Trip-o-Troopy, von Nord nach Süd, ganz gut zu sehen.




Troopy-Time


Mein Tagesablauf ist in dieser Zeit ziemlich simpel: Aufstehen, Zelt zusammenklappen, Porridge kochen. Kurz am Handy chillen. Mein greisiges iPhone ist – leider und glücklicherweise zugleich – so akkuschwach, dass es nie länger als 30 Minuten am Leben bleibt.

Verdauen, ein paar Seiten im Schatten lesen. Alles zusammenbauen, ab aufs Rad. Vier bis fünf Stunden irgendeine Straße raus, U-Turn und zurück.

Kochen, Spülen, aufräumen, einpacken.



Danach geht es hinters Steuer, für zwei bis drei Stunden. Roadtrips in diesem Auto sind wahrlich ein Genuss. Alles ruckelt und holpert, Fenster runter und trotzdem ist es heiß. Die Klimaanlage läuft, ein Glück, einwandfrei. Irgendwelche Feeling free songs und tatsächlich free fühlen. Ich muss die Musik ziemlich laut drehen um durch den Motor etwas zu verstehen.



Das sind die schönsten Augenblicke. Draußen rauscht der Busch vorbei. Manchmal ein paar Rinder, Vögel, Emus, Kängurus. Scheinbar unendlich taucht die Straße irgendwo in den Horizont. Und ich vergesse die Zeit. Ich vergesse das Ticken. Es scheint als würde dieser Moment nicht enden, weil es ja eben immer gleich ist. Immer noch ich im Auto, die Straße, die Rinder, Vögel, Emus und Kängurus. Immer noch die Musik, die gegen den lauten Motor kämpft. Alles ruckelt und holpert. Das sind mit die schönsten Augenblicke – oder ist es ein unendlicher Augenblick?




Kohle, Kohle, Kohle

 

In Rolleston schlafe ich in einem vergessenen Caravan Park – auf einer gelbgrünen Wiese, die langsam zu Ende geht. In den 24 Stunden dort sehe ich drei Menschen. Trotz einiger Häuser, Bungalows und Trailer. Die pure Definition von Geisterstadt.

Nachmittags Cooking-Time – mjam.


Mit dem Rad fahre ich knappe 75 Kilometer nach Springsure – das einzig erreichbare Dorf. Auf dem Weg passiere ich Kohlemiene um Kohlemiene. Angseinflössende gewaltige Trucks, die fast beide Spuren einnehmen – beladen mit drei, vier, fünf Waggons Kohle donnern alle paar Minuten vorbei.

Die Mienen haben unglaublich coole Namen. Ein paar Kostproben: "Nine Mile Mine", "Scorpions Mine", "Meteors Down Mine". Die letzte ist mein Highlight. Es klingt so rough, wild und monoton zugleich. Beim Klang höre ich das Hämmern unter Tage, vermisse ich das Tageslicht, spüre ich den Schweiß, der sich mit rußschwarzem Staub vermischt, auf der Haut.



Rinder- und Schweinetrucks rollen keuchend vorüber. Die Landschaft scheint ein einziges eingefrorenes Gemälde. Es ist ein lautloser Schrei der Tristesse aus all seinen Poren – falls sie nicht mit Ruß verstopft sind.

Was mir dazwischen jedes Mal ein Schmunzeln ins Gesicht zaubert ist der lässige Gruß von alles und jedem, was mir über den Weg läuft. Aus dem einfachen Grund, dass es hier nicht so viel Alles und Jeder gibt. Handfläche nach unten, Zeige- und Mittelfinger hoch, der Blick weiter unbeeindruckt nach vorn. Aber doch eine kurze Aufmerksamkeit, eine Bestätigung: "Ja, ich bin hier, du bist auch hier, ich sehe dich!"




The Big Rig

 

Abends geht es von Rolleston weiter südlich. Ich passiere Injune, den Carnavon National Park, und mit dem Mount Hatton, den letzten Berge für eine Weile. In der Dämmerung erreiche ich die Stadt Roma, in der ich einen freien Tag verbringe.


Und diesen fülle ich seit längerer Zeit mal wieder mit etwas Kultur. Ich besuche den Big Rig. Ein Outdoormuseumspark. Es ist der erste Ort in Australien, an dem Erdgas zu Tage gefördert wurde. Ich bekomme tiefe Einblicke in die Geschichte der Öl- und Gasindustrie Australiens. Riesige Bohrtürme und Bergbaumaschinen schrauben sich vor mir in die Höhe. Es ist die beeindruckende Geschichte eines Pioniergedankens, der ebenso visionär wundervoll, wie brutal und erbarmungslos war.



Das Thema ist gerade deswegen so spannend, weil die Industrie heute noch von Bedeutung ist. Ihre Anfänge scheinen verstaubt, gefährlich und riskant. Es gab damals dutzende Unfälle, in Form von Bränden und Explosionen. Doch Erdgas gehört heute die Gegenwart und die Zukunft.




Wenn ich im Ruhrgebiet in ein Bergbaumuseum gehe, weiß ich: Das alles ist lange, lange her. Nichts davon ist heute noch so, wie in diesem Ort der Erinnerung. Aber Roma lebt nach wie vor von dieser Industrie. Es ist eine aktive, emotionale Geschichte. Weit mehr als eine alt ehrwürdige, aufpolierte Story.

Das Highlight ist ein 40 Meter hoher Aussichtsturm, der mir einen Blick weit hinaus, in alle Himmelsrichtungen schenkt.




Weiterhin stehen in Roma viele Bottle Trees. Diese Bäume sind unnatürlich dick am Stamm und werden zur Krone hin schmaler. Der dickste Bottle Tree hat einen Durchmesser von 9,60 Meter.




Richtung Finale

 

Gegen Abend fahre ich 40 Kilometer westlich nach Muckadilla. Im The Mucka Pub gönne ich mir ein XXXX Zero – mehr Queensland-Geschmack in einem Bier geht nicht. Auf einer abgelgenen Wiese, neben einem schlammigen Rinnsal, das mal ein Fluss gewesen sein muss, finde ich einen guten Platz für die Nacht.



Es ist mittlerweile der 9. Januar. Mein Trip wird in exakt elf Tagen in Forbes zu Ende gehen. Etwas Wehmut verspüre ich schon, aber ich glaube tief in meinem Innern überwiegt die Vorfreude auf die Rückkehr in ein festes Zuhause – und in drei Wochen nach Deutschland. Die Zeit ist geflogen.



Ich mache jetzt einen kleinen Bushwalk durch die Steppe. Lithning Ridge wird leider zum Cliffhanger. Aber so vielleicht umso mehr sich selbst gerecht: Erfrischend gewöhnlich und gleichzeitig unvorhersehbar. Und deswegen eins meiner persönlichen Highlights.

Beim nächsten Mal geht es lyrisch tief in diesen Ort – und tief unter Tage in die Black Opal Mines.



Macht's gut, euer Jon!


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