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Insel-Hopping und City-Strolling – Lets Go Queensland


"I See the future, crystal ball, mirror, mirror hangin' on the wall!" Der Song: "The spins", Der Ort: Troopy. Kilometer für Kilometer durchdringt das Lied selbst meine abgelegensten Synapsen. Und sein Inhalt trifft ins Schwarze. Wohin zieht es mich? Eine ebenso simple, wie knifflige Entscheidung.

Ich sitze am Strand auf Kappel Island – 15 Kilometer vor dem australischen Festland, tief im Herzen Queenslands. Langsam, aber stetig bricht die Sonne durch das verschlungene Weiß am Himmel. Und es gibt furchtbar viel zu erzählen. Here we go!




Strolling on Straddie


Exakt vor zehn Tagen, am 18. Dezember überquere ich die Grenze zu Queensland. Überrascht stelle ich fest, dass die Zeit seit einer Stunde still steht: Zeitumstellung. Und das trotz des gleichen geographischen Längengrads. Jetlag incoming!

Irgendwo zwischen Gold Coast und Brisbane finde ich eine Rest Area, esse etwas, beschließe hier die Nacht zu bleiben. Es ist zwar laut und leicht schmantig, doch in meinem Zelt – gibt es nur mein Zelt und mich.


Mein Tagesziel am nächsten Tag: North Stradbroke Island – die zweitgrößte Sandinsel der Welt. Um Punkt 10 Uhr setze ich meinen Fuß auf die Fähre in Cleveland. Ich treffe eine deutsche Familie aus München. Sie haben knapp drei Monate in Brisbane gelebt. Als Musiker im Orchester, und das Ganze mit zwei kleinen Kindern. Ich lausche staunend ihren Eindrücken.

Eine halbe Stunde später erreiche ich Dunwich. Von hier tuckert der Bus bis zum östlichsten Punkt der Insel: Point Lookout. Café-Strolling, ganz viel lesen, ganz viel schreiben, ganz viel Pazifik-Blick.



Gegen Mittag zieht es mich hinunter an den Strand. Ich bleibe hängen in einer kleinen Bucht, namens South Gorge. Hier rollen die Wellen verblüffend lange und hoch an. Ein leichter Wind, ein schmerzhafter Spaziergang über die zerklüfteten Klippen – zumindest für meine Füße.



Nachmittags erkunde ich die Insel noch etwas. Entlang der Wasserlinie führt ein atmosphärischer Wanderweg. Der Ausblick ist wunderschön. Gefühlt für immer reicht das Auge hinaus auf den Pazifik. Unterwegs treffe ich erstaunlich viele Kängurus, ohne Scheu. Fast kann ich sie berühren.



Der Tag endet mit unendlichem Blick übers Meer und einer viel zu großen Portion Hot Chips. Und ich kann mich nicht daran erinnern, Essen je als zu groß beschrieben zu haben.




Seit 75 Tagen wieder Radgesellschaft


Am nächsten Tagen durchfahre ich Brisbane. Schnell finde ich einen ruhigen Platz in Sandgate, nördlich der Metropole. Ich koche etwas, dusche, genieße die aufkommende Briese.



„Why you don’t sleep here?“ Ein bulliger Typ mit Aussie-Hut und Sonnenbrille, der sich als Julien vorstellt, schaut mich fragend an. Er wohnt um die Ecke und versichert mir, dass hier niemand kontrolliere, ob hier jemand im Auto schlafe. Meine letzten Zweifel sind ausgeräumt. Ich taufe den Curlew Park in Sandgate auf mein Zuhause für die nächsten drei Tage.


Es folgen zwei unbeschreiblich schöne Trainings in Brisbane. Im Süden erkunde ich den Tamborine National Park. Den Mount Tamborine gebe ich den Namen „The Aussie Mortirolo“. Selten bin ich so eine Wand hochgefahren. Immerhin werde ich entschädigt mit einem glasklarem Weitblick über Brisbane.



Im Norden zieht es mich in den D’Aguilar National Park. Ich fahre über den Mount Nebo, treffe seit längerer Zeit mal wieder ein paar Radfahrer.



Als ich abends gedankenverloren durch Brisbane flaniere, entdecke ich auf Strava einen mir bekannten Radfahrer: James Fouche aus Neuseeland. Warum auch immer treibt auch er sich gerade in Brisbane herum.

Ich schreibe ihn an, er antwortet direkt. Schnell beschließen wir am nächsten Tag zusammen zu fahren – fünf Stunden. Die Routenplanung übernehme ich. Kein schlechtes Gefühl seit fast drei Monaten mal wieder Radgesellschaft zu haben. Er bringt seine Freundin Mari Hole Mohr aus Norwegen mit.

Es geht weit in den Norden von Brisbane. Tankstellenstop, Gravel-Gehacke, etwas Vorderrad-Gestecke und verdammt gute Gespräche. Selten gingen fünf Stunden schneller um.




Brisbane oder so ähnlich


An meinem freien Tag fahre ich ein letztes Mal in die Innenstadt von Brisbane. An dieser Stelle muss ich die viel zu gut funktionierenden Öffis hervorheben. Alle Züge on point pünktlich, alles ausgeschildert und übersichtlich. Vielleicht fühlt es sich nur so an, weil ich aus Deutschland komme, aber folgender Fakt ist Balsam für meine Seele: „Alles, was jetzt schief laufen kann, ist meine eigene Schuld.“



Brisbane ist keine besondere Megastadt. Hochhäuser, alles blinkt. Trubel in alle Richtungen. Wenig Historisches, modern, sauber, anonym, übersichtlich.

Warum es mich dennoch in die Stadt zieht, zumindest für einen Tag, hat einen einfachen Grund: Nach einigen Tagen allein, brauche ich mal wieder Menschen um mich herum. Und selbst wenn es Fremde sind. Sich hier mal vorbei quetschen im Zug, dort in einem Laden freundlich die Beratung ablehnen, oder mich für den Kaffee im Starbucks bedanken. Kleinigkeiten, minimalste menschliche Konversationen. Und doch so bedeutend.





Alles ist in Aufruhr, Weihnachten, oder besser: der Stress, hat alle gepackt. Auch ich suche viel zu lang nach Mitbringseln für Zuhause. Irgendwie kriegt auch mich dieses Gefühl. Gerade jetzt, wo ich merke, Heiligabend werde ich allein sein. Fühlt es sich doch so an, als hole ich meine Familie mit diesen kleinen Geschenken, oder viel mehr mit den Gedanken an sie, zu mir nach Australien. So richtig stillen kann ich das Gefühl nicht. Eine dumpfe Beklommenheit.



Andererseits realisiere ich Tag für Tag, wie lange ich schon hier bin. Und ich stelle fest, wie schnell ich wieder in Deutschland sein werde. Rückblickend wird es sich wie ein Wimpernschlag anfühlen.


Spoiler: ich habe das emotionale Weihnachtsloch überlebt.




Schlangen in Obi Obi


Am Freitagabend, den 23. Dezember, zieht es sich weiter nordwärts die Küste hoch. Am späten Abend bleibe ich in einer scheinbar ruhigen Rest Area im Süden von Sunshine Coast. Die Betonung liegt auf scheinbar. Neben dem Toilettenhäuschen ist es taghell, tagein, tagaus gehen Menschen aufs Klo. Jedes Mal knallt die Tür, jedes Mal öffnen sich meine Augen ein Stück weiter. Offiziell der schlechteste Schlafplatz so far. Ich weiß nicht, ob ich in dieser Nacht überhaupt ein Auge zugetan habe.


In den folgenden zwei Tagen radle ich vier und fünf Stunden durch den Maleny National Park, und den Woondum National Park. Mein Endgegner: Die kleine Stadt Obi Obi – oder besser gesagt der Berg, der sich an dessen Fuße auftürmt. Im Schlangenlinienstyle geht es bergauf. Und passend dazu sehe ich meine zweite Schlange an diesem Tag.

Am Vorabend des Heiligabends mache ich Wraps am Strand, springe ins Meer und lese mich tief ins nächste Buch.



Kurze Buchempfehlung an dieser Stelle: "Eine kurze Geschichte der Menschheit" von Yuval Noah Harari. Vielleicht klingt es kitschig und etwas zu einfach, aber das Buch rüttelt an meiner Perspektive, die manchmal so starr und einbetoniert scheint. Es blickt auf eine verblüffend einfache, und doch philosophische Art zurück auf die Wurzeln des Homo sapiens und stellt so herlich grundlegende Fragen, wie "Warum sprechen wir miteinander?" Anyway – ich schweife ab.

(Das ist mein heißer Geschenktipp zu Sylvester!)




Der schönste Schlafplatz


An Heiligabend komme ich auf dem Rad in einen Sturm. Nach vier drückend heißen Stunden, fällt die Temperatur in wenigen Sekunden auf 20 Grad, es windet, stürmt. Der Regen peitscht. Vom Schwitzen zum Frösteln. Und doch tut das Unwetter gut.

Als ich am Auto ankomme steht ein weißer Van neben Troopy. Ich treffe Valerie aus Solingen. Sie ist ebenso wie ich allein unterwegs ins Blaue. Spontan lädt sie mich in die Bar ein. Es tut gut, an Heiligabend nicht komplett allein zu sein.


Gegen Abend fahre ich weitere zwei Stunden in den Norden nach Hervey Bay. Hier finde ich meinen Favorite Schlafplatz so far. Am Ende einer langen Landstraße stelle ich Troopy ab. Eine Sackgasse mit direktem Zugang zum Meer. Kein Haus, kein Mensch, kein Nichts in Sicht. Ich schlafe wunderbar gut.



Ein typisch australisches Weihnachten


Geweckt vom leisen, aber stetigen Plätschern der Wellen, wache ich morgens auf. Es ist Weihnachten. Ein kurzer Spaziergang am Meer, facetimen mit meiner Familie, die zeitlich noch tief im Heiligabend stecken. Spontan fahre ich in die Kirche. Halb aus Tradition, halb aus Interesse – Kirche in Australien, wie geht das?


In einer absurd modernen Gemeindehalle findet der kurze Gottesdienst statt. Ein Mann mittleren Alters in rotem Polohemd und schwarzer Jeans hält ihn. Mittendrin eine Fragerunde für Kinder, das Krippenspiel in aller Kürze und mir unbekannte englische Kirchensongs.

Ungefähr eine Sekunde nach dem die Gemeinde in einem langen auslaufenden „Jesuuuuus“ verstummt, klopf mir ein Mann mit grün, kariertem Hemd auf die Schulter. Marton kommt aus Irland, wohnt jedoch seit 50 Jahren in Australien. „Man, you can't stay alone on Christmas, come with us!“


Und keine zehn Minuten später sitze ich auf einer langen Veranda in einer ruhigen Wohngegend. Ich erlebe ein typisch australisches Weihnachten. Wir unterhalten uns, die Stunden verfliegen. Aus Kaffee wird Great Northern Bier. Aus Chips und Schokolade wird vegetarisches Sea Food. Und wie es sich zu Weihnachten (eher nicht) gehört wird es ein heißer, aber erfrischend windiger Tag. Blauer Himmel, knappe 30 Grad.

Kleine Geschenke werden herumgereicht. Unter anderem die typischen Aussie Stoff Christmas Bons. Das sind große verpackte Bonbons, an dessen Ende je eine Person ziehen muss. Der Person, die das Bonbons abreißt, gehört das Geschenk. Ich bekomme einen kleinen metallenen Kreisel. Für mich Spielkind definitiv das perfekte Präsent.


Als ich mich gegen 17 Uhr verabschiede, könnte ich kaum glücklicher sein. Selten habe ich mich so schnell so wohl und vertraut gefühlt. Nach wenigen Minuten schien es als kannten wir uns Jahre. Wir verabschieden uns: „If you’re ever come back to Ireland, you have to stop in Unna!“.



Achtung Quallen!


Am Abend fahre ich zweieinhalb Stunden weiter in den Norden nach Agnes Water. Nach langer Suche finde ich schließlich einen Platz in einem kleinen Wald am Meer – auf Empfehlung von ein paar Südamerikanern. Der Ort heißt Workman’s Beach.

Morgens spaziere ich hinunter ans Meer. Aus den Klippen schält sich ein wunderschöner kleiner Sandstrand. Gellendes Vogelgetwitscher vermischt sich mit der dem Tosen der Brandung.

Das einzige menschliche Zeichen ist ein großes Warnschild: „Achtung Quallen!“. Ich springe kurz ins Meer. Dann mache ich mich auf in die kleine Bucht Seventeen Seventy.




Snorkeling und Riesenschildkröten


Hier wartet mein Weihnachtsgeschenk auf mich. In Brisbane habe ich mir spontan einen Day Trip zur Lady Musgrave Island gebucht. 70 Kilometer vom Festland entfernt liegt die kleine Anhöhe aus Korallen – in keine Richtung breiter als 500 Meter.




Die Fahrt dorthin wird allerdings zum Überlebenskampf. Knapp 60 Menschen sind an Bord. Als ich mich nach 30 Minuten umschaue, ist jede zweite Person kreidebleich. In der Hand Kotztüten, zum Teil bereits halb gefühlt. Mir selbst geht es auch nicht gut, allerdings noch so gut, dass mein Mund zubleibt. Die Wellen sind bis zu drei Meter hoch, schaukelnd springt das Boot über den Pazifik. Auf, hinab, auf, hinab. Wie in Zeitlupe schraubt es sich langsam hinauf – um sich dann tief in die Dünung zu graben. Eine dichte Wolkendecke verhindert klare Sicht.

Irgendwann schält sich eine kleine Insel aus dem Horizont. Etwas Sand, überdeckt von dichtem, saftigen Grün. Schwärme von Vögeln umkreisen die kleine Anhöhe. Lady Musgrave Island ist Teil des Great Barrier Reefs.




Nach einem geführten Spaziergang, geht es ins Wasser. Drei Stunden tauchen und schnorcheln. Das Englische Wort Snorkeling finde ich by the way ziemlich lustig. Es klingt, wie das erste Wort eines Kindes, von dem niemand so recht weiß, was es bedeuten soll.

Im Wasser sehe ich drei Riesenschildkröten. Wahnsinnig beeindruckend. Überall bunte Riffe in kreativsten Anordnungen und Formen. Wie ein Regenwald unter Wasser. Über, unter und neben den Wirrungen des Riffs winden sich Fische in alle Richtungen. Scheinbar planlos durcheinander, in Wahrheit wahrscheinlich einem präzisen Instinkt folgend. Viele sind bis zu einem Meter lang. In Schwärmen und allein. Dazwischen treiben weiß-orangene Quallen. Das Wasser ist kristallblau und klar. Trotz des bedeckten Wetters ist die Sicht fantastisch. Die Wassertemperatur überraschend warm – 27 Grad. Und trotzdem wird es nach einer Stunde schlotterig kalt. Für die sechs Euro für einen Wetsuit bin ich zu geizig.




Auf dem langen Rückweg schlafe ich schnell ein. Das war anstrengender als gedacht! Abends endet der Tag in der Agnes Water Tavearn. Bundaberg Passion Fruit Lemonade. Und ich verliere mich in der kurzen Geschichte der Menschheit.



Gewitter über dem Zelt


Nachts werde ich aus dem Schlag gerissen. Draußen blitzt es im Sekundentakt. Der Donner rollt, mal laut, mal leise, aber unaufhörlich. Aus dem Zelt kann ich nicht viel erkennen. Die Bäume biegen sich in alle Richtungen. Der Regen peitscht an die Zeltwand, ein Stück der Matratze ist bereits durchgeweicht. Nach einer kleinen Schockstarre klettere ich hinab ins sichere Auto. Das Gewitter ist exakt über mir. Über eine Stunde sitze ich da – der bange Blick durch die beschlagenen Scheiben nach draußen. Ich habe Angst. Die Natur tobt, und es scheint nicht besser zu werden. Und auch nicht richtig kühler. Es ist tief in der Nacht. Schweißperlen oder Regen auf der Haut?

Als das Auge des Sturms um etwa 2.30 Uhr weiterzieht, schlafe ich endlich ein.



Keppel Island mit allen Sinnen


Die paar Wolken sind mittlerweile einem strahlend blauen Baldachin gewichen. Ein Gitarrist spielt "Riptide" von Vance Joy. Der Pazifik siecht dahin – grünblau. Ich werde den Möwen folgen, Richtung Strand. In fünf Stunden geht die Fähre zurück ans Festland. Genug Zeit um nichts zu tun, außer schwimmen, dösen, lesen und tief in den Augenblick zu fallen.



Kommt gut ins Jahr 2024. Macht's gut, euer Jon!


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