Bundaberg Ginger Beer, irgendein egaler Bar-Song, Plapperei von links nach rechts. ich schaue aus dem Fenster: Gedeckte Tischgarnituren, die Straße und ein paar Palmen trennen mich vom türkis blauen Meer. Ich sitze in Airlie Beach – mein persönlicher Nordpol auf dieser Reise. Es ist heiß, feucht, windstill. Willkommen im subtropischen Fegefeuer Queenslands. Zumindest fühlt es sich für mich danach an. Vor exakt 365 Tagen bin ich irgendein Alpental mit Tourenski hochgestapft.
Höllenhitze
Am Mittwoch, den 27. Dezember fahre ich nach einer gruseligen Gewitternacht weiter nach Rockhampton – knappe drei Stunden. Troopy tuckert dahin. Und mit jedem Kilometer wird es heißer. Als ich gegen Mittag aus dem klimatisierten Auto klettere, bekomme ich fast einen Hitzschlag. Der Wind scheint eingeschlafen. Ab hier hält es sich nur noch oberkörperfrei aus. Und trotzdem ist die Haut ein einziges klebriges Etwas, vom wieder und wieder getrockneten Schweiß.
Schlagartig wird bewusst welch geniale Erfindung die Klimaanlage ist. Dankbar für jede Sekunde in Supermärkten und Tankstellen, dankbar für jede Sekunde eiskalte 20 Grad.
Nachmittags spaziere ich durch Rocky, wie Rockhampton liebevoll genannt wird, und was auch viel einladender klingt, als es die Stadt verdient hätte. Auf eine wirre Art fühle ich mich nach Ostdeutschland versetzt: Riesige Klamottenläden, dessen Waren noch aus dem Jahr 2007 zu stammen scheint. Breite, leere Straßen im Schachbrettmuster. Verlassene Industriebauten, überwucherte Vorgärten, vergilbte Fassaden. Die Stadt wirkt etwas traurig. Kommt das coole, hippige Australien hier an seine Grenzen?
Irgendwo am breit ausschweifenden Fitzroy River finde ich eine schattige Bank. Etwas durchatmen bei angenehmen 31 Grad. Schließlich lande ich doch noch in einem sweeten Café – The Two Professors.
Schlafplatzologie
Gegen Abend zieht es mich dann doch wieder ans Meer. Nach einer halben Stunde Troopy-Fahrt erreiche ich Yeppoon. In einer verlassen Wohngegend finde ich einen Waldeingang, wo mich hoffentlich niemand vermutet: Der perfekte Schlafplatz für die nächsten zwei Tage.
Bei der Suche nach dem idealen Standplatz für die Nacht sind übrigens ein paar Kriterien zu beachten:
Erstens sollte die Polizei oder das australische Ordnungsamt hier möglichst kaum vorbeifahren. Sprich: Sackgassen, Wohngebiete, Wald, Strand, Offroad.
Zweitens sollten nirgendwo Verbotsschilder stehen. So habe ich stets das Argument auf meiner Seite. In Australien ist Wildcampen nämlich nicht verboten, aber auch nicht erlaubt.
Wenn die ersten beiden Kriterien erfüllt sind, schaue ich drittens auf den Wohlfühlfaktor: Komfort. Möglichst keine Lichter oder Laternen. Auch sollte es leise sein. Das ist ganicht so einfach, wie es klingt.
Die besten Plätze sind meistens nicht unbekannt, werden nachts gut und gern besucht. Und das aus den undenkbarsten Gründen: Entweder jemand klimpert die ganze Nacht auf seiner Gitarre, Private DJ Sessions, Hot Boxes, romantische Lieblichkeiten oder Late Night Workouts. Erstaunlich, was Erdenbürger alles mit und in ihren Autos anstellen. Alles in den letzten paar Wochen erlebt. Menschen sind einfallsreich. Umso wichtiger ist es bei der Schlafplatzsuche noch einen Ticken einfallsreicher zu sein!
Letztendlich ist es aber auch viel Kommunikation mit anderen Campern. Erfahrungen, Einschätzungen – man kann eine Wissenschaft draus machen. Letztendlich zählt doch nur das Bauchgefühl.
Die Kunst des Nichtstuns
Am nächsten Morgen geht es schon um 7 Uhr nach Keppel Island. Etwa 45 Minuten springt die Fähre aufs offene Meer hinaus. Die Insel ist immerhin knapp 20 Quadratkilometer groß. Die erste Hälfte desTages setze ich mich an den Strand und schreibe. Die zweite Hälfte zelebriere ich die hohe Kunst des Nichtstun. Ich schweife von Strand zu Strand. Die größte Herausforderung des Tages ist eine Klettereinheit über ein spitz aufragendes Korallenriff.
Es ist ein wunderschöner Tag. Und doch zerreißt es mich manchmal, es mit niemandem zu teilen. Zumindest in dem Moment. Ich erlebe es, nehme es ungefiltert auf. Doch statt es nur glücklich wahrzunehmen, denke und denke ich darüber nach: Wie schön, wie schön sollte es sein, könnte es noch schöner sein. Genieße ich gerade? Oder denke ich noch immer? Zweifle ich? Woran? Warum?
Warum kann ich diese Schönheit nicht vergessen? Vergessen, was ist, was sein sollte oder könnte. Mit irgend jemandem über irgendeinen Quatsch reden. Unterbewusst wahrnehmen und würdigen, aber bewusst nicht denken, nur fühlen. Es ist ein Teufelskreislauf. ich weiß, dass es auf solche Fragen keine Antworten gibt. Nur die simple und so kitschige Zauberformel: Kopf ausschalten.
Mackay oder weg?
Am 29. Dezember geht es weiter. Roadtrip on. Etwa vier Stunden fahre ich schon am frühen Morgen weiter nach Norden. Mein Ziel heißt Mackay. Auf dem langen Weg passiere ich nur zwei kleine Dörfer. Und bis auf den Namen scheint Mackay sich nicht groß von Rocky zu unterscheiden.
Achja und falls ich es noch nicht betont habe – wieder ist es heißer geworden. Als ich in der Mittagshitze meine Wäsche im Auto aufhänge, verliere ich gefühlte zehn Liter Wasser.
Abends gönne ich mir zum ersten Mal seit einem Monat auswärts zu essen. Pizza Sweet Potato beim eingewanderten Italiener. Und tatsächlich scheint die Pizza garnicht so weit weg von einer L'originale. Mit dem kleinen aber feinen Feature, dass hier auf vielen Pizzen Süßkartoffeln drauf sind. Kann sich der ein oder andere europäische Italiener gern was von abschneiden.
Danach schleife ich mich etwas durchs Nachtleben. Mehr aus Interesse an den Menschen, als aus Motivation. Alles wirkt etwas verschroben. Ein aggressiver Hund, angeleint mit einem Springseil, springt mich laut bellend an. Prostituierte an vielen Ecken. Auffallend viel patroullierende Polizei. Ein paar krumme Gestalten zu viel. Doch irgendwie scheint daran nichts besonders.
Zum einen bestätigt es den Eindruck, den ich in den nächsten zwei Tagen von Mackay gewinnen sollte. Zum anderen passt es zum äußerlichen Stadtbild. Trotz 80.000 Einwohnern, könnte jede Straße auch in einem Dorf mit 800 Einwohnern zu finden sein.
Zwielichtig trifft es wohl ganz gut.
In Mackay Harbour, etwa fünf Kilometer nördlich der Stadt, finde ich schließlich einen ruhigen Schlafplatz – auf einem vergessenen, wild wuchernden Parkplatz direkt am Strand. Zwei andere Reisende haben sich ebenfalls hierher verirrt. Das gibt etwas Sicherheit.
Hitzetraining und Geisterstrände
Die nächsten zwei Radfahrten werden zum unberechenbaren Drama. Obwohl ich gegen 8 Uhr starte, bekommt mich die Hitze schon nach wenigen Minuten. Die Leistung geht runter. Trotz 1,5 Liter Wasser pro Stunde fliege ich nach je drei Stunden in die Luft. Das Hitzetraining könnte kaum effektiver sein, andererseits auch kaum ungewollter.
Besonders schlimm ist es am Samstag. Irgendwann muss ich links ranfahren. Anhalten. Kurz schwarz vor Augen, auf den Boden legen, überlegen, was gerade passiert. Glücklicherweise ist es nicht mehr weit bis nach Mackay. Als ich am Auto ankomme, ist es dort drin nochmal doppelt so heiß.
Eine Abkühlung im Meer? Erstens ist das Meer lauwarm, keine Abkühlung wert.
Zweitens stehen überall große Warnschilder: "Achtung, Tödliche Quallen!" Niemand weit und breit traut sich ins Wasser. Überall die schönsten Strände, aber alle sind menschenleer.
Träumerei am Wasserfall
An Sylvester fahre ich raus aus Mackay. Mich zieht es in die Natur, weg vom Meer, ins Landesinnere. Ich strande schließlich in einem kleinen Dorf in den Ausläufern der Berge: Finch Hatton im Eungella National Park.
Ich lasse das Dorf im Rückspiegel und fahre weiter das Tal hinauf. Eine immer schmaler werdende Schotterstraße. Hin- und wieder unterbrochen vom Fluss, der über die Straße schwappt. Als die Straße irgendwann aufhört, laufe ich den Rest hinauf zur Finch Hatton Gorge: Eine verwinkelte Schlucht. Geschmückt mit wilden Wasserfällen im dichtem Regenwald.
Ich verliere mich schließlich am Araluen Waterfall und den Wheel of Fire Cascades. Wunderschöne Bergseen. Glasklares Wasser, dessen ewiges Plätschern alle anderen Geräusche verschlingt. Und vielleicht auch alle anderen Gedanken. Ich lege mich auf die Felsen, lese und genieße bewusst das Alleinsein. Eine besondere Abwechslung zum Strandalltag der letzten Wochen.
Erster und Letzter
Abends fahre ich runter nach Finch Hatton. Hier leben 500 Menschen. Alles scheint leise und verlassen. Der perfekte Ort für den – ach so wichtigen – Jahreswechsel. Mein Plan diesen einfach zu verschlafen geht nicht ganz auf.
Es ist ungefähr 22 Uhr. Ich sitze im Criterion Hotel, buche meinen Rückflug nach Deutschland. Bis auf ein paar wenige Locals ist der Pub verlassen.
Irgendwann höre ich am Nachbartisch immer wieder das Wort "bike". Schnell komme ich mit Matthew und Pello ins Gespräch. Und eine knappe Stunde später laden die beiden mich auf ihre Bergwiese ein. Mein Übernachtungsplatz ist safe – und es sollte der schönste dieser Reise werden.
Matthew Brand und Pello Pelling haben vor einem halben Jahr ein Unternehmen gegründet: Ride Rest Repeat. Gleichzeitig haben sie ein großes Stück Land in der Nähe von Finch Hatten gekauft. Hier planen sie aktuell ihr großes Projekt: Ein Campingplatz nur für Radfahrerinnen und Radfahrer. Kleine Bungalows, Küche, genug Platz zum Waschen und Schrauben – alles, was das MTB-Herz begehrt. Und dazu der schönstmögliche Blick in das kleine Bergtal.
Und das Ganze hat einen Hintergrund. 2032 sind die Olympischen Spiele in Australien. Und der MTB Downhill Track ist in Finch Hatton. Die beiden haben große Visionen. In den nächsten fünf Jahren wird dieses kleine Dorf explodieren – und Radsport ein- und ausatmen. Matthew und Pello sind ziemlich optimistisch. Ich wünsche ihnen alles Glück der Welt. Fühlt es sich doch besonders an, der erste Radsportler-Gast auf ihrer Bergwiese zu sein. Und gleichzeitig der Letzte im scheinbar unberührten Paradies. Wer weiß, wie es hier in fünf Jahren aussieht. Und schon wieder ein Grund schnellstmöglich wiederzukommen – nach Australien, nach Finch Hatton.
Falls ihr euch das Projekt mal anschauen wollt, folgt gern mal dem Link!
Endlich wieder ein Berg
Neujahr fahre ich fünf wunderschöne Stunden Rad. Die Route führt mich hinauf in den Eungella National Park. Knapp sechs Kilometer geht es mit 8 Prozent auf ein Hochplateau. Zwischendurch immer wieder steile Rampen, Kuhgitter über die ich, das Rad – balancierend – schultern muss. Dazu applaudierende Autofahrer. Scheint als sei ich der Erste, der sich den Quatsch antut.
Ich genieße es mal wieder ein paar Steigungsprozente auf dem Wahoo zu sehen. Die letzten Wochen war ich eher im Flachland unterwegs. Maximal hier und dort ein paar Wellen.
Oben genieße ich die schönste Coffeebreak: Carrot Cake, Ice, Flat White und Bundaberg Lemonade. 2024 könnte schlechter starten!
A little breath!
Am Dienstag, den 2. Januar fahre ich weiter in den Norden. Meine letzte Etappe in diese Richtung. Langsam nimmt die Zeit Einfluss auf meine Route. Mein Ziel heißt Arlie Beach. Hier werde ich nochmal drei Tage den Pazifik genießen und etwas unter Leute kommen.
Mein letztes Highlight werden die Whitsunday-Inseln. Danach geht es straight nach Süden – Richtung meines persönlichen Südpols, zurück nach Forbes. Und zwar durchs Outback. Das wird nochmal eine ganz neue Erfahrung. Ich könnte nicht gespannter sein.
Bis es so weit ist, bete ich zum Wettergott. Schick mir bitte a little breath! – wie die Australier häufig flehend sagen. Das trifft es ganz gut.
Macht's gut, euer Jon!
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Hi Jon, mit Spannung habe ich Deinen neuen Blogbeitrag gelesen. Endlich geht's ins Outback...
Hätte nicht gedacht daß es so kompliziert ist mit Freistehen und Übernachtung im Auto...
Hab's immer so gemacht daß wenn ich mir unsicher war wegen Übernachtungsverbot, ich mich trotzdem hingestellt habe.
Das ging dann fast immer gut.
Trotzdem ist es ganz sinnvoll immer einen Alternativstandplatz in der Nähe zu haben.
Dieser muß nicht schön sein.
Hauptsache man muss im Falle einer Vertreibung dann nicht stundenlang in der Nacht suchen.
Aber der Jeep mit Dachzelt ist natürlich auch auffälliger als n' Lieferwagen...
Ja, an das "Nichtstun" muss man sich erstmal gewöhnen.
Wir kennen ja nur Leistung und Hamsterrad.
Wünsche Dir noch eine gute Reise und viele weitere…