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Das gruseligste Haus Australiens


Electronic House im Hintergrund. Unter dem Wellblechdach zwei stumme pechschwarze Ventilatoren. Darunter Palmen, tropisches Bindegrün, Blumenampeln – sich seicht im Wind hin- und her wiegend. Um mich herum schmeicheln sich blutorangene Recamieren und alte Akazientische. Dass ich dieses Ambiente an einem Freitagabend allein genieße ist einzig der Tatsache geschuldet, dass dies kein Pub ist. Weit zur Linken öffnet sich der Blick auf die Fitzmaurice Street – Kino, Restaurant, KFC. In den Autodächern spiegelt sich die Abendsonne. Nicht zu spät für ein paar Zeilen Wagga Wagga Recap!



Rough surface!


Mit allen Gefahren habe ich in Australien gerechnet: Schlangen, Spinnen, Alligatoren an der Ostküste. Rücksichtslose Autofahrer, die noch nie einen Radfahrer zu Gesicht bekommen haben. Magpie-Attacken. Schlafende Trucks. Nein, alles Quatsch! Das Gefährlichste an Australien ist schmeichelhaft unspektakulär.

Dienstagmorgen. Unfassbar schöne Radtour durch das hügelige Umland von Wagga. Was könnte diesem Vergnügen die Krone aufsetzen? Richtig, ein Sturz. Mitten in den Bergen, leichte Linkskurve, plötzlich Schotter – augenscheinlich nicht vom Asphalt zu unterscheiden. Als ich merke, dass das Vorderrad rutscht ist es zu spät. Schmerzhaft falle ich auf die linke Seite, reiße eine alte Wunde aus Portugal auf. Aber Entwarnung, mal wieder nichts passiert – Rad und Klamotten ganz. Shit happens.



Glorie der Natur


Die übrige Trainingswoche war hingegen wunderschön. Gestern bin ich in den Livingstone National Park gefahren – knapp 30 Kilometer südlich von Wagga. Und finally ging es mal wieder etwas hoch- und runter. Mitten durch den State Forest schlängelte sich eine breite Gravel-Piste seicht auf- und ab. Gelbgrüne Wiesen. Vereinzelte, alte knorrige Bäume. Tiefschwarze Rinder an glasklaren Tümpeln. Orangegelbe Perlmutterfalter flattern in Scharen durchs hüfthohe Gras. Handflächengroß segeln sie mir manchmal ins Gesicht. Unaufhörliches Vogelgeschrei – kreuz und quer. Häufig überlege ich, ob ich genau diesen Ruf schon gehört habe – immer wieder erstaunt, wie kreativ das Gesinge ist.



Nach drei Stunden erreiche ich das kleine Dorf Mangoplah am Rande des Nationalparks. Kurz vorher spotte ich mein Tageshighlight. Ein etwa einen Meter langer Waran, in Australien Goanna genannt, huscht von rechts nach links über die Straße. Kurz bevor ich ihn erreiche klettert er einen Eukalyptusbaum hinauf – beeindruckt flink für seine Größe.

Die Liste der Native Animals wird langsam länger. Vor ein paar Tagen habe ich eine Schlange gesehen. Sie sonnte sich am Rand des Highways.

Kängurus dagegen sehe ich kaum. Der australische Frühling scheint momentan noch zu grün, als dass sie sich bis an die Straße wagen. Im Januar, australischer Hochsommer, will ich ins Outback fahren. Ich vermute, da werde ich sie häufiger zu Gesicht bekommen.




Endlich Leonardo


Dienstagabend war Cinema-Night. Luther und ich haben uns in Killers of the Flower Moon gewagt. Satte 206 Minuten. In den letzten Wochen habe ich es stets versäumt, doch am letzten Tag habe ich den Film doch noch erwischt. Leonardo-Filme sind für mich Pflicht. Und ich habe keine Sekunde bereut.

In einer ruhigen Art, ohne auszurasten, erzählt der Film eine wichtige Geschichte. In dem Western-Krimi-Drama geht es um die Öl-Ausbeutung des indianischen Stammes der Osage. Starbesetzt mit Leonardo DiCaprio und Robert De Niro.

Am beeindruckendsten fand ich die Atmosphäre – die Filmmusik, sowie die Kultur des Stammes, dessen Geschichte ruhig und sachlich verbildlicht wurde.

Ganz ehrlich – zehn von zehn Punkten hat der Film verdient, wenn man sich die Zeit nimmt. Es ist mehr eine emotionale Unterrichtsstunde, als ein hysterischer Spannungsrausch. Aber dadurch umso mehr ein Erlebnis.


Genauso wie die Tatsache, dass Luther Salz-Popcorn mit Maltesers-Schokokugeln mischt. "Ganz normal in Australien". Da kann der größte Appetit meine Skepsis nicht überwinden.


Australische Kreisliga


"Siri, play Ruby Fields, Ritalin, on Spotify". die australische Indie-Band schallt durch Luthers Toyota Pick-Up. Es ist später Nachmittag und es geht Richtung Gissing Oval, Turkey Park. Heute auf dem Programm: Sunday League Football. Sie bräuchten spontan noch zwei Spieler. Alles klar, bitte kein Kreuzbandriss.

Es folgen vierzig Minuten Ballstocherei auf Kleinfeld. Anschlagsprints, so manche Grätsche, Zweikämpfe. Es macht tatsächlich Spaß, dennoch bin ich unfassbar glücklich den Spaß ohne Verletzung überlebt zu haben.


Insgeheim hatte ich immer den Plan nach dem Radfahren wieder Fußball zu spielen. Ich habe Hochachtung und respektiere alle Menschen über 25, die dies tun und ernsthaft daran glauben mit 40 noch normal laufen zu können.

Zudem ist es deutlich anstrengender als ich erwartet habe. Ich denke, ich bleibe beim Fußball schauen – und Fifa spielen.



Geisterhaus Monte Cristo

Am Donnerstag besuchten wir das "Most Haunted House in Australia". In der Eisenbahnstadt Junee steht das Monte Christo Homestad. Angeblich das gruseligste Haus Australiens. Das Spannende: 1885 hat Luthers Ururgroßvater Christopher William Crawley das Haus gebaut. Für knapp fünfzig Jahre war es in Besitz der Familie bevor sie es verkauften.



Im 20. Jahrhundert sollen hier seltsame Dinge vor sich gegangen sein. Insgesamt zehn Geister sollen in dem Haus wohnen. Was nach einem Fall für die Drei Fragezeichen klingt, ist in Wahrheit deutlich unspektakulärer.

Luther meint alle Spukgeschichten seien erfunden. Alles sei etwas ausgeschlachtet. Na, dass muss ich selbst herausfinden.



In dem kleinen Häuschen vor dem riesigen Anwesen empfängt uns eine sehr alte Frau. Sie sitzt in einem vergilbten weißen Sessel am Ende des Raumes. Zu ihrer Linken eine verstaubte Museumstheke. Wir kaufen zwei Karten, 30 Australische Dollar, um uns auf die Suche nach Luthers Vorfahren zu machen.

Wenig später erblicken wir ein imposantes mohnrotes Backsteinhaus. Im spät-viktorianischen Stil, typisch australisch, umgibt eine breite Holzveranda die beiden weitläufigen Stockwerke. Davor ein alter Brunnen. Innen ist alles majestätisch eingerichtet. Hölzerne Himmelbetten, verschlungene Spiegel, Porzellanpuppen, Bücherregale, Blumentapeten, Seidenteppiche. Jeder Schritt knarrt. Es riecht nach altem Holz.

Es hat etwas gresiges, spätmittelalterliches, ausgedientes an sich. In seinem Charme auch irgendwie unheimlich. So ein Haus in Australien zu betreten ist in der Tat besonders. Für eine Nation, die knapp 120 Jahre alt ist, ist ein 140 Jahre altes Haus etwas Antikes.

Alles schön und gut, wenn die Sonne gleißend durchs Haus scheint. Doch man kann hier auch eine Nacht verbringen, vielleicht wird es dann gruseliger.



Die bessere Geschichte


Im Nebengebäude hängen überall Zeitungsartikel von übernatürlichen Ereignissen, die Menschen hier widerfahren sind: Eine blutende Frau auf der Veranda, ein Kind, dass die Treppe hinunterstürzt, seltsame Lichtspiele am Himmel über dem Haus, Gesichter in Spiegeln, Stimmen aus dem Boden. Auf mich wirken die Geschichten etwas amerikanisch überdreht, zu oft erzählt, auf eine Art ausgeschlachtet.

Die krampfhaft verbreiteten Gruselstories nehmen die Spannung aus der wahren Geschichte dieses Ortes. Und die ist durchaus der Rede wert. Als das Haus Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, existiert die heute 4.500 Einwohner umfassende Stadt noch nicht. Durch den Bau der Eisenbahn wächst Junee aus dem Nichts. Die Crawleys waren die ersten Siedler, besaßen lange einen Großteil des Landes.

Diese Entstehung einer Zivilisation aus dem Erdboden ist wahrlich spannender, als eine weitere, semi-gut aufbereitete Spukgeschichte.

Außerdem ist vieles, wo "the most" draufsteht, weit davon weg auch "the most" zu sein.



Anschließend fahren wir runter in die Stadt ins Junee Hotel. Auch dieses Gebäude haben die Crawleys gebaut. Das Hotel steht direkt an der Eisenbahnstrecke: Eine wahre Goldgrube in früherer Zeit.


It's time für Melbourne Bitter und Poolbilliard – ein angemessenes Ende des Tages.



Troopy am Horizont

Mittlerweile wird es dunkel draußen. Kein einziger Gast ist gekommen. Eine dunkle Regenwand zieht auf, taucht den Himmel in ein graues Gelborange. Ich laufe los, muss noch einkaufen. Ob ich es noch vor dem Regen heim schaffe?



Spoiler: Nein.

Morgen geht es zurück nach Forbes für ein paar Tage. Dort packe ich meine Sachen. Danach beziehe ich den Troopy. Finally geht es auf die Straße. Wohin wird sich zeigen, aber ich spüre – es zieht mich ans Meer.



Macht's gut, euer Jon!


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