Tut, tüt, tut – piept es neben mir, leise, aber stetig. Die Ampelschaltung mischt sich unter das Geräusch der abbremsenden und beschleunigenden Autos. Der Himmel zieht sich mehr und mehr zu. Es ist warm, aber nicht heiß. Ein seichter Wind streift durch die majestätisch hohen Ahornbäume, links und rechts der Straße. Hellgrün – ausgebleicht von der immerzu scheinenden Sonne. Darunter sitze ich – mal lesend, mal schreibend, mal nur die Kreuzung beobachtend. Welcome to Wagga Wagga!
Already home
Zwei bunte, aber meist ruhige Wochen in Forbes gingen gestern Abend zu Ende. Zwei Wochen, in denen sich das alte Holzhaus in der 13 Forester Street von Tag zu Tag, mehr nach Zuhause angefühlt hat. Struktur im Tag, feste Familienrituale, köstliche Abendessen, stets gedankenreiche Gespräche. Die Crawleys hätten mich nicht wärmer aufnehmen können. Unter dieses aufkommende Wohlfühlen hat sich eine Dankbarkeit gemischt. Und die ist nicht selbstverständlich – gerade wenn man in einem fremden Haus wohnt. Zwischen der Angst eine Belastung zu sein und einem ungehemmten, instinktiven Fallenlassen.
Vor diesem Hintergrund weiß ich dieses Gefühl von Zuhause und Wohlfühlen sehr zu schätzen. Es ist nur mit der Zeit und einem guten Maß an Geduld zu gewinnen.
Eine Sekunde Gravelprofi
Ich schaue auf eine durchwachsene Trainingswoche zurück. Zum ersten Mal seit dem Restart habe ich fast vier Stunden auf dem Rad gesessen. Es ist eine weite Einsamkeit. Da kommt keine Stadt, keine Kurve, keine Abfahrt, kein Hügel. Manchmal scheine ich auf der Rolle zu sitzen. Da scheint jede Welle, jede Richtungsänderung, jedes Hochschalten nach einer willkommenen Abwechslung.
Ziemlich genau vor einem Jahr kämpfte Forbes, sowie weite Teile New South Wales, mit einer starken Flut. Ganze Dörfer standen unter Wasser, Menschen verloren ihre Häuser, Straßen wurden weggeschwemmt.
Diese Naturkatastrophe wird noch lange sichtbar bleiben. Manchmal reißt die Straße ab, kilometerlang geht es über Schotter und Gravel. Am Mittwoch bin ich über einen dieser Abschnitte Vollgas drübergepeitscht – bis zum satten Durchschlag mit dem Hinterrad. In einer Sekunde war das Rad platt, auf der Felge rutschend kam ich zum Stehen.
Schön dumm, aber Ärgern bringt relativ wenig. Ich hielt an, pumpte vergeblich Luft in den Totalschaden, aus zwei Löchern quoll die Tuebeless-Milch.
Da hilft nur: Daumen hoch, abwarten bis ein Auto kommt – nach zehn Minuten holperte ein Toyota-Truck auf mich zu. Der Fahrer zögerte keine Sekunde, warf mein Rad auf die Ladefläche. "Where do yer have to go?" "Forbes". Das Glück ist eben mit den Dummen.
Das nächste Problem war nun Ersatz zu finden. Glücklicherweise gibt es in Forbes einen "SportsPower" – so etwas wie der australische Intersport. Doch musste ich lang graben zwischen Cricketschlägern, Horse-Racing-Handschuhen und Rugbys bis ich auf Radzubehör stieß. Nach längerer Suche händigte mir der Verkäufer einen knallblauen Duro-Mantel aus. Er beäugte ihn, als sähe er so etwas zum ersten Mal. Für liebliche 14 Euro erwarb ich das gute Stück, und mein BMC war wieder fahrtüchtig.
Spoiler: Nun bin ich seit heute in Wagga Wagga und habe einen vernünftigen Radladen gefunden. Ausatmen. Neuer Tubeless-Mantel, Bremsscheibe, kleine Scherereien ausbessern. Ab morgen back on the road!
Heat-Training
Freitagabend kam Kaspar aus Canberra nach Forbes, am Samstag Luther – sein Bruder. Beide arbeiteten übers Wochenende am Haus. In einigen Räumen sind immer noch Schäden der Flut zu sehen. Ein Zimmermann und ein Elektriker, wie sie, sind da ein perfektes Match. Unaufhörlich sägt, bohrt, hämmert es durch das Haus.
Währenddessen fliehen alle anderen vor der Hitze. Wenn man über den knarrenden Holzfußboden schleicht summen die Ventilatoren in allen Zimmern – Siesta.
Ich mache den Fehler und fahre mit dem Rad Samstag voll in die Mittagshitze, und gehe Sonntag mittags joggen. Heat Training im Winter – Australian flavour.
Samstagabend Pub-Strolling in Forbes. Sonntagmorgen Frühstück mit allen zusammen. Ein schöner Abschied von Forbes.
Vegetarisches Fiasko
Gestern Abend bin ich dann zu Luther in seinen Pick-Up-Truck gesprungen. Roadtrip, zweieinhalb Stunden nach Wagga Wagga. Zwischenstopp McDonalds – nur um deprimiert festzustellen, dass es bis auf Pommes und Banana Bread, nichts Vegetarisches gibt. "Don't you have a vegan Patty?" "Aahm, no".
Das muss an dieser Stelle wirklich kritisch vermerkt werden. Wenig bis garkeine vegetarische Auswahl. Und ich hatte eigentlich mit dem Gegenteil gerechnet: Australien, fortschrittliches Land, politisch, sozial – und kulinarisch? Eher nicht. Zumindest für mich nicht. Fleisch steht hier wirklich im Zentrum des Zentrums. Bisher balanciere ich erfolgreich drumherum. Ein paar vegetarische Inseln gibt es schon – deutlich weniger als in Deutschland, doch mit der ausreichenden Geduld zu erreichen.
Viele Krähen
In Wagga Wagga – Wagga wagga wagga wagga – werde ich nun ein paar Tage bleiben. Auf den ersten Blick scheint die Stadt weitläufig, einstöckig, grün und offen. Die dichte Wolkendecke wirft gerade seinen Schatten über die nächsten Tage, aber wie sagen wir Deutsche – bei über 25 Grad – da kann man nicht meckern.
Ich melde mich in den nächsten Tagen mit tieferen Eindrücken aus Wagga Wagga – immerhin die größte innländische Stadt in New South Wales.
Der Name der Stadt bedeutet aus der Sprache der Wiradjuri-Aborogines People übrigens: "viele Krähen". Es müssen wohl sehr sehr viele Krähen sein. Andernfalls kann ich mir das doppelte "Wagga" nicht erklären. Ich bete nur, dass sie – wie die Magpies – keine Radfahrer attackieren.
Luther macht eine Ausbildung zum Elektriker, arbeitet nebenbei als Barkeeper. Viel werde ich diese Woche nicht von ihm sehen. Mit anderen Worten: Solo-City-Strolling, here i come!
Macht's gut, euer Jon!
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