"Be running up that hill. Be running up that building." Diese Kate Bush Lyrics schwirren in meinem Kopf umher – klassischer Ohrwurm. Der Grund: Natürlich Stranger Things. Die Serie wird momentan tot gehypt und ich bin auf den Zug mit aufgesprungen.
Tee und Wasser zieren meinen Schreibtisch. Draußen sieht's seit Stunden nach Regen aus. Es ist Samstagnachmittag und die Tour de France lockt mich aufs Sofa. Gegenpol: Bock auf ein paar Worte.
Kleine Alltagsgeschichte
Kleiner Zoom in ein beiläufiges Erlebnis der letzten Tage. Es ist Freitagmorgen. Wenige Stunden vor meinem geplanten Abflug nach Rumänien. Ich wache auf: Kopfschmerzen, es ist stickig, schlechte Laune. Da häng ich also in der Luft. Was tun mit vier Stunden ungeplanter Freizeit? An Produktivität ist nicht zu denken.
Also beschließe ich kurzfristig spazieren zu gehen. Einfach mal drauf los, ohne Plan, ohne Ziel. Nur mit Hunger und ein klein wenig Neugier, wohin's mich verschlägt.
Treibsand
Erste spontane Station: Bäckerei. Zwei Laugenecken. Nichts weiter.
Die Kopfschmerzen bleiben. Ich hätte mehr trinken sollen. Die Luft ist drückend. Irgendwas zwischen Sonne und unglaublich bewölkt. Jeden Moment könnte es anfangen zu regnen. Ich weiß, dass klingt echt komisch, aber genau hier lag vielleicht der Grund für meine Kopfschmerzen. Normalerweise hab ich nie Kopfschmerzen.
Weiter gehts. Straße um Straße, tiefer hinein in die angrenzende Wohnsiedlung. Mal links, mal rechts. Plötzlich stehe ich vor einem kleinen Trampelpfad. Ein Nostalgie-Blitz durchzuckt mich. Ich bin wieder 9, die Schulglocke klingelt und ich renne in diesen Weg hinein. Im Kopf: "Hoffentlich schieß ich heute mal ein Tor in der Pause."
Meine Grundschule liegt vor mir. Genauer gesagt, ein Schleichweg von hinten auf den Schulhof. "Warum nicht?", denke ich und bewege mich langsam tiefer in die Kindheitserinnerungen.
Das Fußballfeld, die Weitsprungbahn, Bäume, Bänke, Tischtennisplatten – bis zu den Mülleimern. Alles leicht abgeranzt, in die Jahre gekommen – aber das war es damals schon. Alles scheint so geblieben zu sein, wie an meinem letzten Schultag. Irgendein Tag im Sommer vor zwölf Jahren. Ehrlich, seit dem war ich nicht mehr hier, zumindest nicht richtig, nicht bewusst. Der Gedanke scheint mir immer absurder, je länger ich ich auf ihm herum kaue: So nah, und doch spielt er überhaupt gar keine Rolle mehr in meinem Leben.
"Ehrenmann"
Langsam, fast bedächtig schweifen meine Augen über die so vertraute Kulisse. Früher täglicher Schauplatz. So täglich, dass ich ihn blind kannte, vielleicht genau daher garnicht mehr richtig wahrnahm.
Ich schließe meine Augen. Da ich eh noch halb schlafe, fällt das nicht schwer. Blätterrauschen, lachende Kinder, die Sirenen des angrenzenden Krankenhauses. Und doch wirkt dieser Ort totenstill in den Schulferien. Normalerweise überfüllt von kreuz und quer rennenden, brüllenden Kindern. Heute eher ein Friedhof.
Plötzlich fliegt ein Ball durch mein verträumtes Sichtfeld. Ich zögere kurz. Dann stehe ich auf, laufe dem Ball nach. Und natürlich rollt er unter eine Hecke. Ich strecke mich, halte gleichzeitig nach den ungeduldig wartenden Kindern Ausschau. "Cornelio, was machst du wieder?" Bevor ich den Ball zurückwerfe, muss ich schmunzeln. "Cornelio" – den Namen hätte ich nicht erwartet.
Selbstverständlich verfehle ich mein Ziel beim Zurückwerfen. Der zweite Versuch sitzt. "Ehrenmann!" höre ich nur noch.
Auf dem Rückweg simuliere ich meinen früheren Schulweg zum alten Haus. Möchte rein fühlen, nachempfinden. Wie fühlt sich das an? Naja, so viel ist da um ehrlich zu sein nicht. Wahrscheinlich sind da momentan zu viele andere Dinge in meinem Kopf.
Chasing the feeling
"Heute ist mein erster Tag als Rentner" schnappe ich auf. Noch besser die Antwort: "Nää, Glückwunsch!" Ich muss lächeln. Es war die richtige Entscheidung, das Handy mal zu Hause gelassen zu haben. Bewusst wahrnehmen. Mal in die verschiedensten Situationen reinstolpern, aufzuschnappen, lauschen. Mal etwas zu neugierig, mal versuchen wegzuhören. Nur dem Instinkt folgen.
Das Absurde daran ist, dass mir dass schräg vorkommt. Falsch, so ganz ohne Ziel durch die Straßen zu schlendern. Fehl am Platz. Ziellos. Wahrscheinlich konstruiere ich das nur. Spiegele meine persönliche Eigenwahrnehmung auf die Menschen. Und selbst wenn: Mir kann's eigentlich egal sein, wenn der 43-Jährige Ralf von der gegenüberliegenden Straßenseite sich denkt: "Warum schaut dieser Typ zwei Minuten auf diese Hausfassade?"
Mehr und mehr kehren meine Gedanken in den Alltag zurück. Flieger in fünf Stunden. Okay, jetzt noch was kochen. Gepackt ist alles. Check, check, check. Man hab ich getrödelt. Was hab ich bloß den halben Tag gemacht?
Macht's gut, euer Jon!
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