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Das Genie beherrscht das Chaos


Eine Kanne Grüntee, Toffifee, Taschentücher – es ist irgendein Wochentag, der Himmel ist strahlend blau und mir fällt ganz nebenbei auf: Es wird höchste Zeit mal wieder zu schreiben. Auf fehlende Zeit kann ich die literarische Leere der letzten Wochen nicht schieben. Um es mit wenigen Worten zu sagen: Chaos, viele Überraschungen (eher negative) und seit zwei Tagen Corona. Ich weiß gerade noch nicht, wo ich anfangen soll, aber ohne Anfang kein Schreiben. But first: ein Schluck viel zu heißer Tee.



Kopfsache


Kurzer Rückblick zum letzten Blog-Stand: Mein Saisonhöhepunkt: Die Deutschen Meisterschaften standen vor der Tür, die Motivation war groß. Vorfreude, Ungeduld, Tag für Tag zunehmende Spannung. Was wird passieren? Wie werde ich abschneiden? Was tue ich, wenn es nicht läuft? Ja – leider waren da auch Zweifel. Denn 95% des Sports passieren in meinem Kopf. Vielleicht bewundernswert, gleichzeitig eine schwer einschätzbare Hürde, der ich mich jeden Tag mit einem neuen Schlachtplan stellen muss.



Freitag, der 24.

Es ist Freitag, der 24. Juni. Der Tag, den ich seit ziemlich genau einem Jahr kommen sehe. Ich will nicht sagen, dass ich Kreuze im Kalender gemacht habe, aber ich habe mir diesen tag oft ausgemalt. Die Deutsche Meisterschaft im Einzelzeitfahren. In diesem Jahr Heimrennen. Schauplatz Marsberg. Die Eckdaten: 27 Kilometer, knapp 400 Höhenmeter, schwere Steigungen, viele Kurven, schmale Wege – quasi das Rundum-Sorgen-Paket.

Die Vorbereitung lief alles andere als problemlos. Der Grund: Materialprobleme bis wenige Minuten vorm Start. Das hört sich jetzt vielleicht nach unprofessioneller Vorbereitung an, die Wahrheit ist allerdings: Das Allermeiste war nicht planbar. Wenn nach zwei problemlosen Jahren plötzlich kurz vorm Wettkampf, die elektrische Schaltung komplett ausfällt, ist es schwierig die Nerven zu bewahren.

Das Positive: Meine Form war on point, ich kannte die Strecke, ich war heiß aufs Rennen.

Ich will nicht viel drum herum reden. Ich hatte mir deutlich mehr ausgerechnet als den 17. Platz. Und nach anfänglicher Ratlosigkeit, brachten erst die nächsten Tage etwas Licht ins Dunkle. Die Strecke kam mir wohl zu wenig entgegen: Zu viele Berge, zu weit entfernt von meinen Qualitäten. Und das klingt vielleicht nach Ausreden, aber ich weiß, was ich kann. An einem guten Tag, auf einer flachen Strecke, mit der richtigen Distanz – fahre ich in die Top 10. Die Abstände waren nicht riesig.

Jetzt, knapp zwei Wochen später, ziehe ich schon wieder mehr Positives aus dieser Enttäuschung. Positives für das verbleibende Jahr, vielleicht fürs nächste Jahr – wo mein Weg hinführt – darüber will ich noch nicht nachdenken. Zu viel kann und wird dieses Jahr sportlich noch passieren. Also analysieren, ausatmen und auf den Moment konzentrieren. Die nächsten Wochen in Sichtweite.

Ich hatte noch am selben Tag ausreichend Gelegenheit meine Enttäuschung in einigen schönen Momenten zu ertränken. Vom Rennen ging es mit Highspeed zum Abiball meiner Schwester. Gute Gespräche, gutes Essen, guter Abend eines denkwürdigen 24. Juni – den Tag den ich so lange habe kommen sehen. An dessen Abend ich froh war, dass er vorbei war.



Flappy End des Saisonhighlights


Zwei Tage später stand das Straßenrennen der Deutschen Meisterschaft auf der To-do-Liste. Ebenfalls im Sauerland, ebenfalls kein tag für die Geschichtsbücher. Platz 39 ist gerade noch so in Ordnung für die anspruchsvolle Strecke durchs Land der tausend Hügel. Und dennoch alles andere als zufriedenstellend.

Nach dem Rennen kam mein Freund Per noch mit zu mir. Mit einem Wein wollten wir anstoßen – worauf wussten wir nicht. Ich hatte mich auf die Befreiung all des angestauten Drucks gefreut, auf das Gefühl der Erleichterung nach diesem Wochenende. Letztendlich fühlte er sich an, wie jeder andere Abend. Immerhin war ich happy, dass es vorbei war. Kaum war ich zuhause, bin ich eingeschlafen, lies dieses Wochenende hinter mir, denn – ein noch anstrengenderes sollte folgen.


"Wow, ist Fritt ein Kau!"


Weiter ging's zur Sibiu Tour nach Rumänien. Zumindest dachten wir das. Denn dann begann der Spaß.

Donnerstagabend, Flughafen Dortmund, Abflug: 21 Uhr. Es ist 20,55 Uhr und spätestens als der rote Schriftzug "Flug Annulliert" auf der Anzeigetafel erschien, war mir klar: Jetzt wird's eng. Planänderung: Am nächsten Tag fuhren wir zum Flughafen nach Köln, um von dort aus nachmittags Richtung Rumänien zu fliegen. Doch bereits als wir am Flughafen ankamen, wurde uns bewusst, dass auch das kein Selbstläufer wird. Schier unendliche lange Warteschlangen, Massen an Polizisten. Alles verstopft. Die Menschen: wartend, genervt, sich aufregend – und dennoch keinen Zentimeter vorankommend.

Kopfüber stürzten sich Per, meine zwei belgischen Teamkollegen Michiel und Abram und ich uns in dieses Chaos. Das Ende kannten wir vorher, aber probieren geht über studieren. Ganze fünf Stunden warteten wir. Da nur eine Sicherheitskontrolle geöffnet war und an diesem 1. Juli wirklich jeder Mensch in NRW, wirklich jeder in den Urlaub wollte, mussten wir gegen Abend feststellen, dass die Sibiu Tour dieses Jahr ohne uns stattfindet.

Erneut enttäuscht, aber auch irgendwie erleichtert diesem Chaos den Rücken zu kehren, fuhren wir mit leeren Händen nachhause. Dieser Tag war einer der größten Jokes in meinem Leben. Das Gute: Wir konnten die meiste Zeit dieses Tages darüber lachen. Mit sinkender Erfolgswahrscheinlichkeit transformierten wir uns von motivierten Sportlern mit Kompressionsstrümpfen zu albernen Malle-Urlaubern mit Becks und Sonnenhut.

Ganz liebe Grüße und ein großes Dankeschön gehen an die zwei Ferienjobber von Fritt, die uns mit ausreichend Fritt-Kaubonbons durch den Tag retteten. Der kultige Werbespruch aus den 90ern: "Wow, ist Fritt ein Kau" tröstete zumindest etwas über diesen Systemkollaps hinweg.

Eine zweistündige Zugfahrt, mehrere Verbindungsausfälle, stundenlangem Warten und einem Langstreckenschwimmen durch Massen an Menschenmassen später, erreichte ich Unna. Ah shit – here we go again.



Ausflug ins Metaverse


Aus diesen paar Tagen ziehe ich vor allem eins: Manchmal ist es sehr wichtig, einen Schritt zurück zu machen, den Kopf schief zu legen, und über die Situation zu lachen. Aus der größten Misere formt sich ein noch größerer Spaß. Denn wenn ich nichts mehr ändern kann, lohnt es sich umso mehr darüber zu lachen, alles nicht so Ernst zu nehmen. Ich glaube nur dann kann ich lernen und den Blick wieder schärfen, für alles, was kommt.

In den nächsten Tagen werde ich die letzten Tage weiter Revue passieren lassen. Genug geschehen ist auf jeden Fall. Und da in meinem Leben aktuell so gut wie nichts passiert, da ich mit Corona in den Federn liege, habe ich mehr als genug Zeit dafür.


Macht's gut, euer Jon!


PS: "Wow, ist Fritt ein Kau!"





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